Interpretation des Kapitels „Gesang vom Ende der Lili Tofler“ aus Peter Weiss‘ dokumentarischem Drama: „Die Ermittlung“ (Schulprojekt)
Alle Werke von Hannah E. und Marta S.
Lieber David,
ich hoffe, du hast meine vorigen Briefe bekommen, die Kommunikation hier ist schließlich nicht so einfach. Ich schreibe dir gerade aus der Arbeit in der Politischen Abteilung, ich muss aufpassen, dass ich nicht erwischt werde, ich bin schon keine der Spitzenkräfte hier.
Wie geht es dir? Ich denke jeden Tag an dich und an unsere gemeinsame Zeit in der Freiheit. Ich vermisse diese Zeiten so sehr und kann mir nicht vorstellen, dass es je wieder so sein wird, nach all dem Elend, das wir hier mit ansehen müssen und womöglich nicht mehr vergessen können.
Wann werden wir uns endlich wiedersehen? Wird das je ein Ende haben? Jeden Tag warte ich darauf, doch ich fürchte gleichzeitig auch, dass nichts mehr so sein wird, wie früher.
Ich will jetzt nicht in Selbstmitleid versinken, bald kommt das Licht am Ende des Tunnels.
Mache dir keine Sorgen über mich, du kennst mich ja, mir geht es immer gut. Hoffentlich bis bald, bitte gib nicht auf!
Deine Lili
Liebe Lili,
ich habe schon lange nichts mehr von dir gehört. So langsam habe ich Angst, dass unsere Briefe aufgeflogen sind. Ich kann mir nicht verzeihen, dass du wegen unserem Schreiben gefangen wurdest. Wahrscheinlich hast du mich verraten, aber ich kann es dir nicht übelnehmen.
…
Ich habe den Brief nie zu Ende geschrieben, noch habe ich ihn abgeschickt. Ich wollte der Wahrheit nicht ins Gesicht schauen. Ich wollte selbst nicht wahrhaben, dass dir etwas passieren konnte und lebte lieber in der Vorstellung, dein Brief sei nicht angekommen.
Doch nun kenne ich die Wahrheit. Ich habe dich gestern gesehen. Da wurde mir klar, dass du mich nie verraten hast. Ich kann mit dem Gedanken, dass du dein Leben für meins geopfert hast, nicht leben.
Mich selbst hat nur der Zufall gerettet. Ich verdanke dir mein Leben.
Ich werde dich nie vergessen,
Dein David
